Graafen/Pundt, Zwischen Geld, Glaube und Gemeinde

Porträt einer europäischen Kernregion. Der Rhein-Maas-Raum in historischen Lebensbildern, hrsg. v. Franz Irsigler & Gisela Minn, Trier 2005. [zurück zur Übersicht]

Zwischen Geld, Glaube und Gemeinde.

Das Leben des Metzer Bürgers Philippe Le Gronnais

von Thomas Graafen und Marianne Pundt

Im Oktober des Jahres 1314 erschütterte ein außergewöhnliches Verbrechen die Einwohner der lothringischen Stadt Metz. Der Dominikanermönch Ferry d’Epinal, geistlicher Vertrauter einiger wohlhabender und bedeutender Familien der Stadt, war auf offener Straße ermordet worden. War schon der gewaltsame Tod eines Geistlichen allein aufsehenerregend genug, so wurde das Verbrechen durch die vier Täter zum wahren Skandal. Kein Geringerer als der stadtbekannte Schöffe Collard Le Gronnais, Sohn des kurz zuvor verstorbenen einflußreichen Bürgers Philippe Le Gronnais, hatte gemeinsam mit drei Angehörigen ähnlich angesehener Metzer Familien diese Untat begangen und wurde daraufhin mit sofortiger Wirkung für dreißig Jahre nach Zypern verbannt, der damals äußersten Bastion der christlichen Welt. Außerdem wurde ihm sein Schöffenamt aberkannt, und seine Brüder mußten 1.500 Metzer Pfund an die Stadtkasse zahlen, weil Collard als Schöffe in besonderer Weise für die Einhaltung von Recht und Gesetz in der Stadtgemeinde verantwortlich war und daher auch in seinem Amt versagt und dessen Ansehen geschadet hatte.

Wie konnte ein etablierter Amtsträger aus bester Familie sich zu einer solchen Tat hinreißen lassen, noch dazu so kurz nach dem Tod seines Vaters? Tatsächlich legen die Quellen jedoch den Schluß nahe, daß gerade in diesem zeitlichen Zusammenhang der Schlüssel für die Erklärung des Verbrechens liegt. In gewisser Weise kann offenkundig die Untat des Sohnes als gewaltsame Austragung eines Konfliktes verstanden werden, den der Vater, Philippe Le Gronnais, zeit seines Lebens immer irgendwie austarieren konnte, des Konfliktes nämlich zwischen Geld, Glaube und Gemeinde.

Philippe wurde um die Mitte des 13. Jahrhunderts geboren. Wie den Metzer Bannrollen, den seit 1220 unregelmäßig überlieferten schriftlichen Aufzeichnungen aller Besitzrechtsveränderungen, zu entnehmen ist, bewohnte seine Familie ein Haus im kaufmännisch geprägten Stadtteil Port-Sailly und verfügte schon in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts über nicht unerhebliche Besitz- und Einkunftsrechte in der Stadt selbst und im unmittelbaren Umland. Bereits Philippes Vater und dessen Bruder, die ersten bekannten Vertreter der Familie, nutzten die Kapitalgewinne aus Güterproduktion und –handel für Geldgeschäfte unterschiedlichster Art und Größenordnung. Der Kreis der Schuldner reichte schon damals vom kleinen städtischen Handwerker bis zu den Herzögen von Lothringen und dem stadtnahen Benediktinerkloster Gorze.

Zusammen mit seinen fünf Brüdern setzte Philippe die Handels- und Geldgeschäfte der Familie fort, konnte sie aber in der Folgezeit so geschickt ausbauen, daß er über seine Finanzkraft eine bis dahin für einen Bürger beispiellose Machtposition in Stadt und Umland erlangte. Ein wichtiges Instrument, um die Geldgewinne aus der Bewirtschaftung seiner zahlreichen land-, forst- und weinwirtschaftlichen Güter in der Stadt selbst und dem fruchtbaren Umland effektiv für Finanzgeschäfte nutzen zu können, war dabei seine Tätigkeit im Münzwechsel. Philippe gehörte ebenso wie seine Brüder zum auserlesenen Kreis der bischöflich autorisierten Wechsler und besaß mehrere Wechslertische auf den belebten Marktplätzen der Stadt. Aufgrund der vielen unterschiedlichen Münzen und Währungen, die in dieser Zeit, zumal in einer Handelsmetropole wie Metz, kursierten, war nahezu jeder, der am Wirtschaftsleben teilnahm, mehr oder weniger auf einen Geldwechsler angewiesen. Von dieser zweifellos ohnehin schon lukrativen reinen Wechslertätigkeit war es ein naheliegender kleiner Schritt zum Aufkaufen, Vorstrecken und Leihen von Geld – der Geldwechsler wurde zum Bankier.

Wie in vielen anderen Städten auch waren die Wechsler in Metz in einer Genossenschaft mit strengen Aufnahmeregeln organisiert, die ursprünglich dem Bischof als Stadtherrn unterstand und daher diesem auch im 13. Jahrhundert noch zu Abgaben verpflichtet war. 1287 gelang es Philippe Le Gronnais, sich zusammen mit seinem Bruder Thiébaut eine prädominante Position in diesem elitären Kreis der Wechsler zu erobern, indem er sich von Bischof Burkhard von Avesnes für ein Darlehen über 1.000 Metzer Pfund unter anderem die Abgaben von den Inhabern der Wechslertische auf dem Marktplatz Neuf Change verpfänden ließ. Mag auch der materielle Wert der Wechslerabgaben nicht sehr hoch gewesen sein, so verbanden sich mit dem Erhebungsrecht doch fraglos Möglichkeiten eines besseren Überblicks über laufende Kapitalgeschäfte, Wechselkurse und Kundenkreise der Berufskollegen bzw. -konkurrenten und nicht zuletzt der frühzeitigen Kenntnis von etwa zum Verkauf anstehenden Wechslertischen.

Die Ausweitung des Geldwechslergeschäftes auf Kreditgeschäfte unterscheidet Philippe Le Gronnais prinzipiell noch nicht so sehr von anderen wirtschaftsstarken Metzer Bürgern. Erst seit der Erringung der vorherrschenden Stellung im Kreis der Wechsler durch die Geschäfte mit dem Bischof konnte er offenkundig in neue Dimensionen einer bürgerlichen Bankiersexistenz vorstoßen. Der Aufkauf von Wechslertischen durch Mitglieder der Familie Le Gronnais stieg seit dieser Zeit auffallend an, die Zahl der kleineren und vor allem größeren Geldgeschäfte nahm stetig zu. Es häuften sich die Fälle, in denen Metzer Bürger Teile ihres Besitzes wegen Nichtbegleichung von Schulden an Philippe oder einen seiner Brüder abtreten mußten. Gleichzeitig führten die finanzielle Abhängigkeit des Bischofs und die einflußreiche Stellung im Kreis der Wechsler dazu, daß Angehörige der Familie Le Gronnais nahezu regelmäßig Mitglied im jährlich neugewählten Rat der sogenannten „Dreizehn Geschworenen“ waren, jenem städtischen Organ, das nicht nur über die Einhaltung des Friedens innerhalb der Stadt zu wachen hatte, sondern auch für alle Einwohner verbindliche Verordnungen für das gemeindliche Zusammenleben erlassen konnte. Philippe selbst ist 1296, 1300, 1302 und 1306 als Mitglied dieses Stadtrates belegt. Bereits 1291 wurde er von den seit 1180 zu dieser Wahl berechtigten höchsten geistlichen Würdenträgern der Stadt, den Benediktineräbten und dem Dompropst, zum Schöffenmeister gewählt. Als solcher stand er an der Spitze der ganzen Stadtgemeinde und vertrat sie auch nach außen. Bemerkenswerterweise gehörte ein Teil der wahlberechtigten Geistlichen auch zu seinen Schuldnern.

Auf dieser wirtschaftlich ebenso wie politisch sehr gefestigten Machtbasis in der Stadt fußend, mischte Philippe Le Gronnais seit der Wende zum 14. Jahrhundert in Geldgeschäften mit, die quantitativ wie qualitativ ganz neue Größenordnungen erreichten, ihn aber auch verstärkt in potentielle Konfliktlagen mit den Regeln seiner Religion und seiner Gemeinde brachten. Den im Hinblick auf die bewegten Finanzen fraglos größten Coup vollzog Philippe zwischen 1297 und 1300. Die wenige Kilometer südwestlich von Metz gelegene und überaus reich begüterte Benediktinerabtei Gorze war 1295 auf Veranlassung Bischof Burkhards durch Papst Bonifaz VIII. dem Bistum Metz inkorporiert worden, um durch die dadurch gewonnenen zusätzlichen Einkünfte die nicht geringen Schulden des Bistums bei römischen Bankiers begleichen zu können. Als Burkhard bereits im Jahr darauf verstarb, räumte der Papst dem Kloster die Möglichkeit ein, diese Eingliederung in das Bistum rückgängig zu machen. Bedingung war, daß Gorze die Schulden des Bischofs bei den römischen Bankiers begleiche. Offenkundig wandte das Kloster sich in dieser Situation um Hilfe an die Familie Le Gronnais, zu der schon seit Jahrzehnten intensive Kontakte auch geschäftlicher Art bestanden. Wahrscheinlich unter Beanspruchung der geballten Finanzkraft seiner Familie konnte Philippe die erforderlichen Summen aufbringen und so die Abtei und damit auch das Bistum von der Schuldenlast in Rom befreien. Als nach längerer Sedisvakanz im Jahr 1300 der neue Bischof Gérard de Réninge sein Amt antrat wurde in seiner Gegenwart schriftlich festgehalten, daß die Gesamtsumme der Schuldscheine des Klosters Gorze bei Philippe Le Gronnais und seinem Sohn Jacques noch 26.000 Pfund kleiner Tournosen betrage. Zur Begleichung dieser Schulden wurden vermutlich Klostergut und daran gebundene Einkunftsrechte der Mönche langfristig an die Le Gronnais verpfändet, doch wurde dieses heikle Problem der verdeckten Zinsnahme wie so oft nicht schriftlich thematisiert. Noch 1328 erscheinen Neffen von Philippe Le Gronnais als Gläubiger der Abtei.

In dieser Finanztransaktion zwischen Kloster dem Kloster Gorze, dem Metzer Bistum sowie dem Papst und römischen Bankiers werden die Einflußmöglichkeiten Philippes schlaglichtartig deutlich. Gleichzeitig zeichnet sich ab, wie er als christlicher Finanzier, den es nach damaliger verbreiteter Lehrmeinung der Kirche eigentlich gar nicht geben sollte, dieses Konfliktpotential dadurch entschärfte, daß er sich der Kirche selbst als großzügiger Geldgeber zur Verfügung stellte. Solange kirchliche Einrichtungen selbst von seinen Finanzdienstleistungen profitierten, konnten sie solche Aktivitäten zwar „offiziell“ beargwöhnen und verurteilen, würden sie jedoch kaum faktisch behindern. Dennoch schwebte die moralische Verurteilung von Zinsgeschäften durch die Amtskirche ständig bedrohlich über den Geschäften und wohl auch dem Gewissen eines christlichen Finanziers wie Philippe Le Gronnais. Dem kanonischen Zinsnahmeverbot trug man zumindest formal Rechnung, indem in den Beurkundungen von Kreditgeschäften selten explizit von Zinsen oder gar Zinssätzen die Rede war, sondern stets nur von Güterverpfändungen oder der Überlassung von Nutzungsrechten als Ausgleich für Unkosten oder Schäden, die dem Gläubiger durch die Überlassung des Geldes entstehen könnten. Viele kirchliche Amtsträger arrangierten sich mit den geldgeschäftlichen Realitäten, auf die sie selbst angewiesen waren, indem sie christliche Geldverleiher zu Wiedergutmachungen in Form von Stiftungen für kirchliche Einrichtungen und für die Armen anhielten. Ein probates kirchliches Druckmittel zur Herbeiführung von Reuebekundungen dieser Art, dessen Einsatz auch für Metz bezeugt ist, war die Verweigerung des Begräbnisses in geweihter Friedhofserde für Christen, die sich des Zinswuchers schuldig gemacht hatten.

Moralisch etwas weniger heikel waren die Geldgeschäfte mit den weltlichen Machthabern der Region, doch war auch hier diplomatisches Geschick erforderlich, um die militärisch mächtigen Schuldner nicht gegen den Gläubiger aufzubringen und dennoch das geliehene Geld mit Gewinn zurückzubekommen. Philippe Le Gronnais verlieh größere Summen an fast alle benachbarten Fürsten, wie etwa den Herzog von Lothringen, die Grafen von Bar und Saarbrücken, den Grafen von Luxemburg und viele kleinere Territorialherren der Region. Insbesondere zum Grafen Heinrich von Luxemburg, dem späteren deutschen Kaiser Heinrich VII., entwickelte sich seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts eine sehr intensive Geschäftsbeziehung, die nach Aussagen der vielfältig überlieferten Metzer Stadtchroniken auch freundschaftliche Züge trug. Einige Chronisten berichten sogar, daß erst Philippes Geld dem Luxemburger Grafen 1310 den kostspieligen Zug nach Rom zur Durchsetzung seiner Ansprüche auf das Kaisertum ermöglicht, er also gleichsam zu den „Kaisermachern“ gehört habe. Gesichert überliefert ist nur, daß Heinrich von Luxemburg nicht nur selbst Kreditnehmer bei Philippe war, sondern diesem auch weitere Gläubiger vermittelte, für deren Schuldrückzahlung er sich dann verbürgte.

Solche Finanztransaktionen eröffneten Le Gronnais gleichsam Anlagemöglichkeiten für sein Kapital und dem Grafen politische Einflußmöglichkeiten bei den Schuldnern, deren Kredite er gegenüber dem Metzer Geldgeber absicherte. Deutlich greifbar wird dieser beiderseitige Nutzen anläßlich eines Darlehens von 4.300 Pfund kleiner Tournosen, die Philippe Le Gronnais 1303 unter Bürgschaft des Luxemburger Grafen der Trierer Stadtgemeinde gewährte. Dort hatte Heinrich innerstädtische Bürgerkämpfe genutzt, um durch seine Vermittlung und militärische Hilfe endlich Einfluß auf die seinem Herrschaftsgebiet benachbarte Bischofsmetropole zu gewinnen. Die in diesen Zusammenhängen aufgelaufenen Unkosten deckte die Stadtgemeinde durch den erwähnten Kredit bei Philippe Le Gronnais, den Heinrich jedoch nur um den Preis verbürgte, daß die Stadt ihm ihrerseits die gesamten städtischen Besitzungen als Sicherheit stellte. Konnte die Stadt nicht zahlen, war sie dem Grafen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, während dieser sich mit seinem Hausbankier fraglos über die ausstehenden Summen würde einigen können.

Wie nützlich und gefährlich zugleich diese Kreditgeschäfte mit den mächtigen Territorialherren der Region jedoch auch für Philippes eigene Stadtgemeinde Metz werden konnten, zeigte sich bereits wenige Jahre später in aller Deutlichkeit. 1307 weitete sich der schwelende Konflikt zwischen der Bürgerschaft von Metz und dem seit 1302 amtierenden Bischof Reinald von Bar zum offenen Krieg aus. Auf verschiedenen Wegen hatte der Bischof aus dem benachbarten Grafenhaus Bar bereits versucht, Besitzungen des Bistums im reichen Metzer Umland dem Herrschaftsbereich seiner Familie anzugliedern oder sich zumindest nutzbar zu machen. Die Stadt selbst litt unter einer Blockadepolitik Reinalds, der durch seine Kriegsleute die Zufahrtswege nach Metz belagern und Händler ausplündern ließ, so daß schließlich die Versorung der Stadt mit lebensnotwendigen Gütern immer unsicherer wurde. 1307 griffen dann auch Reinalds Neffe Graf Eduard von Bar sowie weitere Mitglieder der Familie in die Kampfhandlungen ein. Einige dieser Kriegsgegner gehörten auch zum Kundenkreis Philippe Le Gronnais’.

In dieser bedrohlichen Situation stellten jedoch anscheinend alle Metzer Bankiers ihre finanziellen Interessen hinter den Interessen der Stadtgemeinde zurück. Der Rat der Dreizehn Geschworenen, zu dem in diesem Jahr auch Philippes Sohn Collard zählte, der wenige Jahre später zum Mörder werden sollte, beschloß im März 1308 einen gemeinsamen Finanzboykott zur Schwächung der barischen Gegner. Es erging ein Verbot an alle Amans der Stadt, irgendeine Form von Schuldverschreibung des Bischofs Reinald oder einer seiner Angehörigen und Verbündeten bei Metzer Bürgern zu beurkunden bzw. in ihren Urkundenschreinen zu archivieren. Diese Amans, angesehene und rechtskundige Personen aus den einzelnen städtischen Pfarreien, erfüllten seit dem beginnenden 13. Jahrhundert eine Art Notariatsfunktion in Metz und waren für die bürgerlichen Bankiers der Stadt bei der rechtlichen Absicherung ihrer Kreditgeschäfte nahezu unverzichtbar.

Der Metzer Geldhahn war durch diesen Erlaß für die barische Grafenfamilie also vorerst abgedreht worden. Andererseits konnte schon zu Beginn der Kriegshandlungen mit dem Grafen Heinrich von Luxemburg ein mächtiger Verbündeter gewonnen werden – eine Allianz, bei deren Zustandekommen Philippe Le Gronnais als langjähriger Finanzier des Luxemburgers fraglos eine zentrale Rolle spielte. 50.000 Pfund kleiner Tournosen soll der Graf nach Mitteilung eines Chronisten für diese militärische Hilfe erhalten haben, wobei Philippe auch hier zweifellos maßgeblich beteiligt war. Auch der Herzog von Lothringen griff schließlich 1308 auf seiten der Stadt Metz in die militärischen Auseinandersetzungen ein. Vor wie nach dem Krieg war der Lothringer bei Philippe Le Gronnais und einigen anderen städtischen Finanziers hoch verschuldet, so daß Geldzahlungen oder Schuldenerlaß auch hier das Motiv für die Parteinahme gewesen sein dürften. So hatten Philippe und die übrigen Metzer Bankiers mit Hilfe ihres Geldes eine schlagkräftige Allianz geschmiedet, die den Bischof und seine Familie 1309 schließlich zur Aufgabe zwang.

Der Verlauf des Krieges gegen die Grafenfamilie von Bar hatte einmal mehr deutlich gemacht, in welchem Maße Finanziers wie Philippe Le Gronnais das Schicksal der Stadt bestimmen konnten, in der sie lebten. Gleichzeitig waren diese selbst jedoch auf den Rückhalt der Rechtsordnung ihrer Stadtgemeinde angewiesen, um ihre Geldgeschäfte abwickeln zu können. Auch die Schuldner erkannten offenkundig diese Zusammenhänge, wie sich schon wenige Jahre nach Philippes Tod im sogenannten „Vierherrenkrieg“ gegen die Stadt Metz zeigte. Die finanziellen Abhängigkeiten der großen Territorialherren Lothringens von Metzer Geldgebern waren so stark geworden, daß man sich auf einen gemeinsamen Kriegszug gegen die Stadt einigte. Eine zentrale Forderung der Fürsten bei Verhandlungen während dieses Krieges war dabei bemerkenswerterweise die Abschaffung der städtischen Amans, bei denen die Bankiers ihre Schuldurkunden hinterlegten. Die finanzgeschäftlichen Aktivitäten von Bürgern wie Philippe Le Gronnais stellten also immer auch eine potentielle Gefahr für die ganze Stadt dar, sobald ein mächtiger Schuldner sich gewaltsam seiner finanziellen Verpflichtungen entledigen wollte.

Philippe Le Gronnais gelang es jedoch offenkundig weitgehend, seine eigenen finanziellen Interessen mit den Interessen der Stadtgemeinde, in der er lebte und die er maßgeblich mitlenkte, in Einklang zu halten. Auch Konflikte mit der Amtskirche wegen seiner Zinspraktiken konnte er anscheinend vermeiden, nicht zuletzt, weil er sich vielen kirchlichen Institutionen selbst, allen voran der Abtei Gorze, als eine Art Finanzdienstleister zur Verfügung stellte. Dennoch überkamen ihn offenbar gegen Ende seines Lebens Zweifel, inwieweit seine Geschäftspraktiken ihn vor Gott tatsächlich zum Sünder gemacht hatten. Wahrscheinlich war es der geistliche Vertraute seiner späten Jahre, der Dominikanermönch Ferry d’Epinal, der ihn von der Notwendigkeit finanzieller Wiedergutmachungen überzeugen konnte. 1313 ließ Philippe die Schulden des Herzogs Ferry IV. von Lothringen vor einem städtischen Aman auflisten und reduzierte die noch zu zahlende Summe dann auf 2.400 Pfund kleiner Tournosen. In seinem leider nicht vollständig überlieferten Testament, das im Oktober 1314 abgefaßt wurde, sind unter anderem großzügige Stiftungen an das städtische Hospital St. Nicolas und eine Altarstiftung in Philippes Pfarrkirche St. Martin festgehalten. Auf diese Weise konnte der christliche Geldverleiher Philippe Le Gronnais offenkundig im Frieden mit seinem Glauben und der Amtskirche als angesehenes Mitglied seiner Stadtgemeinde aus dem Leben scheiden. Sein Platz in geweihter Erde war ihm sicher, die Widersprüche zwischen seiner Lebenweise und den Ansprüchen der Kirche und der Gemeinde waren geglättet.

Sie brachen jedoch nach seinem Tod um so gewaltsamer wieder hervor, als seinen Erben die großzügigen Bestimmungen des Testaments eröffnet wurden. Sein Sohn Collard Le Gronnais, der selbst bereits erfolgreicher Geschäftsmann war und schon verschiedene politische Ämter in der Stadtgemeinde ausgeübt hatte, war offenkundig nicht gewillt, die Zugeständnisse des Vaters an die Kirche widerstandslos hinzunehmen. Opfer seiner kompromißlosen Haltung wurde der Dominikanermönch Ferry d’Epinal. Der Mord an diesem Geistlichen stellte unübersehbar einen Einbruch für das Prestige der Familie des Philippe Le Gronnais dar. Collard verschwand in der Verbannung, seine Brüder tauchten kaum noch in städtischen Ämtern auf und wirtschaftlich zogen sie sich anscheinend verstärkt in eine Art Rentiersdasein zurück.

Die Rolle des großen Finanziers ging in der Folgezeit an Philippes Bruder Poince Le Gronnais und seine Nachkommen über. Trotz dieses Schattens über seiner Familie ging Philippe Le Gronnais in die Metzer Stadtchronistik ein als einer der ganz großen Söhne der Stadt, der selbst den Kaiser zu seinen Freunden zählen konnte. Vom Glanz seines Reichtums zeugen noch heute Reste seines Wohnhauses gegenüber St. Martin, die im Metzer Stadtmuseum Cour d’Or zu bewundern sind.

Literaturhinweise
  • Pundt, Marianne: Metzer Bankiers im Spätmittelalter: Die Familie Le Gronnais (1250–1350). In: Hochfinanz im Westen des Reiches, 1150–1500. Hg. v. Friedhelm Burgard u. a., Trier 1996 (Trierer Historische Forschungen; 31), S. 153–177.
  • Pundt, Marianne: Metz und Trier. Vergleichende Studien zu den städtischen Führungsgruppen vom 12. bis zum 14. Jahrhundert, Mainz 1998 (Trierer Historische Forschungen; 38).
  • Reimann, Norbert: Beitrag zur Geschichte des Klosters Gorze im Spätmittelalter (1270–1387). In: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 81, 1970, S. 132–163.
  • Sauerland, Heinrich Volbert: Geschichte des Metzer Bistums während des 14. Jahrhunderts, Teil 1. In: Jahrbuch der Gesellschaft für lothringische Geschichte und Altertumskunde 1, 1888/89, S. 119–176, Teil 2. In: Jahrbuch der Gesellschaft für lothringische Geschichte und Altertumskunde 7, 1895, S. 69–169.
  • Schneider, Jean: La ville de Metz aux XIIIe et XIVe siècles, Nancy 1950.