Grewe, Der anonyme Autor

Porträt einer europäischen Kernregion. Der Rhein-Maas-Raum in historischen Lebensbildern, hrsg. v. Franz Irsigler & Gisela Minn, Trier 2005. [zurück zur Übersicht]

Der anonyme Autor der Schrift „Das Proletariat und die Waldungen“ (1851)

von Bernd-Stefan Grewe

Im März 1851 erscheint in einem kleinen Verlag in Kaiserlautern eine anonyme Schrift, die sich mit einem sozial und politisch höchst brisanten Thema befasst, den erschreckend häufigen Forstfreveln und der weitverbreiteten Massenarmut unter der Landbevölkerung. Der komplette Titel lautet:

„Das Proletariat und die Waldungen mit besonderer Berücksichtigung der bayerischen Rhein-Pfalz. Ein Beitrag zur Beantwortung der Frage über die materielle Noth der unteren Volksklassen einerseits, und die Sicherstellung des bedrohten Waldeigenthums anderseits“

Schriften zum Thema Armut sind im deutschen Vormärz nichts ungewöhnliches. Im Gegenteil, in den 1840er Jahren ergießt sich auf den deutschen Buchmarkt eine wahre Publikationsflut zum Thema Armut, die sogenannte Pauperismusliteratur. In diesen Schriften diskutieren meist akademisch gebildete und selten persönlich betroffene Bürger die Ursachen und Folgen der neuen Massenarmut und erwägen mögliche Gegenmaßnahmen. Wie in einem Brennglas bündeln sich die zeitgenössischen Vorstellungen zum „Pauperismus“ in dem gleichnamigen Artikel in Brockhaus’ Real-Encyklopädie von 1846. Er sei da vorhanden, „wo eine zahlreiche Volksclasse sich durch die angestrengteste Arbeit höchstens das nothdürftigste Auskommen verdienen kann, auch dessen nicht sicher ist, in der Regel schon von Geburt an und auf Lebenszeit solcher Lage geopfert ist, keine Aussichten auf Änderung hat“. Es handele sich nicht um „die natürliche Armuth, wie sie als Ausnahme in Folge physischer, geistiger oder sittlicher Gebrechen, oder zufälliger Unglücksfälle immerfort Einzelne befallen mag“, sondern um die neue Form einer „Massenarmuth“.

Auch König Maximilian II. von Bayern hat eine Preisfrage ausgesetzt, „über Abhülfe der materiellen Noth der unteren Volksklassen in Deutschland und insbesondere in Bayern“. Allein zu diesem Wettbewerb gehen 656 Schriften ein. Warum hält aber der Autor des „Proletariats und die Waldungen“ seine Identität geheim? Was ist an dieser Schrift derart brisant, dass er persönliche Repressionen befürchten muss?

Die anonyme Schrift

Ein Grund für die Anonymität liegt sicherlich in den Zeitumständen, denn das nur 93 Seiten umfassende Büchlein erscheint kurze Zeit nach der Revolution von 1848/49. Es ist noch keine zwei Jahre her, dass preußische Truppen die Reichsverfassungskampagne in der Pfalz und im Großherzogtum Baden niedergeschlagen haben. Unter dem neuen Regierungspräsidenten von Hohe setzt ab 1850 eine Säuberungswelle innerhalb der pfälzischen Beamten und Bediensteten ein, die sich nur als eine „personalpolitische Flurbereinigung“ kennzeichnen läßt: Wer als politisch unsicher gilt, sich nicht eindeutig zur Monarchie bekennt oder gar im Verdacht steht, mit der provisorischen Revolutionsregierung sympathisiert oder zusammengearbeitet zu haben, der kann seine Karrierehoffnungen im Staatsdienst begraben, zahlreiche Beamte werden sogar aus dem Dienst entlassen. Durch eine gezielte Pressepolitik gelingt es der Kreisregierung außerdem, die im Vormärz für ihre oppositionellen Töne bekannten Presseorgane wie die Neue Speyerer Zeitung mundtot zu machen. Nach dem Sieg der Reaktion bedeutet es für jeden Autor ein hohes persönliches Risiko, sich zu politisch nicht unumstrittenen Themen öffentlich zu äußern.

Im Herbst 1843 hat bereits ein anderer Schreiber mit einer Serie von Zeitungsartikeln zum Thema „Holzdiebstahl“ für öffentliches Aufsehen gesorgt. In der „Rheinischen Zeitung“ stellt ein junger Trierer fest, „dass reine Notwehr gegen Hunger und Obdachlosigkeit die Leute zum Holzfreveln treibt“. Er beklagt, dass die juristische Definition des Diebstahldeliktes nun auch auf das Sammeln von Raffholz, also das tote, auf dem Waldboden liegende Holz, ausgedehnt werde. Auf diese Weise lasse man „das Recht der Menschen vor dem Recht der jungen Bäume niederfallen“. Neben der Kritik an mangelnder Pressefreiheit ist diese Artikelserie ein Hauptargument für die preußische Zensurbehörde, die Rheinische Zeitung kurz darauf verbieten zu lassen. Der Name dieses streitbaren Autors ist Karl Marx.

Wie steht unser anonymer Autor zum Bund der Kommunisten, ist er möglicherweise sogar ein Mitglied? Deutet nicht schon die Wahl des Begriffs „Proletariat“ im Titel auf eine geistige Nähe zu dieser Bewegung? Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung drei Jahre nach dem Kommunistischen Manifest könnte auf einen entsprechenden politischen Standpunkt verweisen. Trotzdem sprechen unübersehbare Indizien dagegen, dass auch in diesem Büchlein das Gespenst des Kommunismus umgeht: Schon auf dem Buchdeckel prangt in gedruckten Lettern: „Der königlichen Staatsregierung, den hohen Kammern und allen Forstmännern gewidmet“. Ein früher Kommunist wäre kurze Zeit nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 wohl kaum auf eine solche Widmung verfallen.

Deutlich verwahrt sich der Autor schon im Vorwort gegen jegliche Oppositionshaltung. Ihm gehe es einzig und allein darum, „einer guten Sache zu nützen“. „Von einer Opposition, oder beabsichtigten Kritik der Regierungs-Maßregeln, kann sonach keine Rede sein.“ Vielmehr ist fast sicher, dass unser anonymer Autor selbst ein Forstbeamter ist, mit großer Wahrscheinlichkeit ein in der Pfalz tätiger bayerischer Revierförster. Denn zur Publikation habe er sich erst „auf das Zureden einiger befreundeter Forstmänner“ entschließen können, „nachdem sich die Frevel seit diesem verflossenen Jahre in seinem Revier fast um’s Doppelte vermehrt haben“.

Bis zur Jahrhundertmitte sind die Forstfrevel im linksrheinischen Deutschland auf ein kaum vorstellbares Maß angestiegen: Allein in der bayerischen Pfalz werden in den 1840er Jahren insgesamt mehr als eine Million Forstfrevel von den Beamten zur Anzeige gebracht und gerichtlich verfolgt. Erst wenn man diese Zahlen in Bezug zum höchsten Bevölkerungsstand von 616.000 Menschen (1849) setzt, wird klar, in welchem Umfang die bayerische Verwaltung mit den Gesetzesverstößen der Pfälzer zu kämpfen hat. Statistisch gesehen steht jedes Jahr ein Fünftel der pfälzischen Bevölkerung wegen Forstdelikten vor den Schranken des Forststrafgerichts! Die mehrfache Verschärfung der entsprechenden Strafgesetze und eine erhöhte Anzahl von Waldaufsehern haben nur zu einem weiteren Ansteigen der Forstfrevel geführt. Die Schrift unseres Revierförsters greift deshalb ein gravierendes Problem der Forstverwaltung auf, bei deren Lösung andere obrigkeitliche Lösungsstrategien versagt haben. Es liegt in der Natur der Sache, dass neue Lösungsvorschläge zwangsläufig bisherige Regierungsmaßnahmen mehr oder weniger explizit kritisieren müssen. Das macht die Diskretion unseres Verfassers nachvollziehbar.

Zum Inhalt: Das Proletariat und die Waldungen

Wie scharf ist die Kritik an der Regierung in dieser Publikation? Unser Förster unterscheidet zunächst fünf zentrale Ursachen der Forstfrevel:

„Vor allem die im Volke, besonders in den unteren Klassen, eingerissene permanente Irreligiosität und totale Entsittlichung.

Die materielle Noth und Armuth der unteren Volksschichten, und die zerrütteten Wohlstandsverhältnisse der besseren Bürgerklassen.

Dringendes unabweisliches Bedürfniß, unzureichende Befriedigung, oder gänzliche Unmöglichkeit, den Bedarf auf legale Weise zu befriedigen.

Verwirrung aller Rechtsbegriffe bezüglich des Waldeigenthums, sowie auch totale Unwissenheit im Volke über den Nutzen, über die Nothwendigkeit der Erhaltung und die Pflege der Wälder.

Sehr nachtheilige, in ihren Folgen zum Theil verderbliche Einwirkungen der Legislatur und praktischen Jurisdiktion.“

Die angeführten Ursachen der Frevel wie die „Irreligiosität und totale Entsittlichung“ oder der Hinweis auf die Armut sind in der zeitgenössischen Publizistik häufig auftauchende Erklärungsmuster für gesellschaftliche Spannungen. Sie finden sich in ähnlicher Form in der religiösen Literatur beider großen Konfessionen oder im Rahmen der Pauperismusdebatte. Der Vorwurf unklarer Rechtsvorstellungen wird innerhalb der Verwaltung häufig herangezogen, um Widerstände der ländlichen Bevölkerung gegen Gesetze oder Verwaltungsvorschriften zu erklären. Ihr Verhalten wird in aufklärerischer Tradition auf ihre Unwissenheit und mangelnde Bildung zurückgeführt, diese Sichtweise der Landbevölkerung ist für die Bürokratie des 19. Jahrhunderts kennzeichnend.

Unser Förster bringt jedoch zwei neue und gewichtige Punkte ins Spiel: Zum einen fragt er danach, ob sich die Bevölkerung überhaupt auf legalem Wege mit den benötigten Waldressourcen versorgen kann. Damit deutet er an, dass zahlreiche Frevler keinerlei Alternative zur illegalen Befriedigung ihrer Nachfrage besitzen. Jedem Leser ist klar, dass diese Frage implizit eine starke Kritik an der Forstverwaltung enthält. Zum anderen macht der Autor die bayerische Gesetzgebung und die Rechtsprechung ebenfalls für die angestiegenen Deliktzahlen verantwortlich. Eine solche Kritik am gesamten Regierungs- und Justizsystem kann ein Beamter gerade in dieser politisch aufgeheizten Stimmung nach der Revolution unmöglich öffentlich äußern.

Noch schärfer wird seine Kritik im folgenden Kapitel, als er die Verwertung der Forstprodukte explizit angreift. Insbesondere bei den Versteigerungen seien die Holzpreise durch hohe Mindestgebote künstlich in die Höhe getrieben worden, so dass „gering oder mittelmäßig begüterte Bürger durch hohe für sie unerschwingliche Holzpreise immer mehr und mehr zum Verfall kamen“. „Sie mußten sich dem Holzfrevel nothgedrungen widmen.“ Durch die folgenden Forststrafen werde ihnen der Rest ihrer Einkünfte und damit die letzte Möglichkeit des legalen Holzerwerbs weggenommen. „Viele Tausende von Familien, die sonst der gemeinnützigsten Menschenklasse angehörten, sind nun verarmt und dieser Kategorie [der Demoralisierten] anheimgefallen“. Diese Aussage ist politisch höchst brisant, denn damit wird die Forstverwaltung für die Verarmung und „Demoralisation“ weiter Teile der Bevölkerung direkt verantwortlich gemacht. Selbst wenn die Sprache etwas moderater ist, in inhaltlicher Hinsicht übertrifft diese Kritik die Artikel des jungen Marx.

Eine wesentliche Ursache für diese negativen Entwicklungen sieht unser Anonymus in der Ausrichtung der Forstverwaltung auf „möglichst hohe Revenüen zur Deckung der Staatsbedürfnisse“. Die bayerische Forstpolitik ist in seinen Augen zu sehr auf die Erzielung hoher Gewinne aus den Staatsforsten ausgerichtet. Die primäre Aufgabe der Forstverwaltung sieht er hingegen in der Holzversorgung aller Bevölkerungsgruppen:

„Es werde dafür gesorgt, dass jeder Staatsangehörige – sei er arm oder reich – seine bemessenen wirklichen Bedürfnisse an Forstprodukten, soweit dies ohne Gefährdung der Wälder geschehen kann, auf legale Weise zu befriedigen im Stande ist.“

Deshalb solle die Forstverwaltung nicht länger dem Finanzministerium, sondern dem Innenministerium untergeordnet werden. Unser Autor fordert damit eine grundlegende Veränderung der bayerischen Forstpolitik und eine gänzliche Umgestaltung der ministeriellen Kompetenzen. Gerade hier wird dieses kleine Büchlein zu einer hochpolitischen Schrift, welche die gesamte Forstorganisation wegen einer falschen Ausrichtung kritisiert und in Frage stellt. Die Gründe für eine anonyme Publikation liegen auf der Hand.

Die Identität des Autors: Valentin Hohmann

150 Jahre später ist es möglich, die Identität des kritischen Revierförsters zu lüften. Eines der erhaltenen Exemplare des „Proletariats und die Waldungen“ enthält eine persönliche Widmung des Verfassers: „Sr. Excellenz Dem Bischofe und Commenthur des Verdienst-Ordens vom heiligen Michael, Herrn Dr. Nicolaus v. Weis, verehrungsvoll und unterthänigst zugeeignet vom Verfasser, dem K. Revierförster Hohmann. Fischbach b. Hochspeyer am 20/8 54“

Wer aber war dieser Revierförster Hohmann, der seine eigene Behörde derart massiv attackiert? Mit Hilfe des „Hof- und Staatshandbuch des Königreichs Bayern“ von 1853 läßt sich der Fischbacher Revierförster „Valentin Hohmann“ ermitteln und im Landesarchiv in Speyer nach Personalakten fahnden. Die entsprechenden Akten sind vollständig erhalten und geben Einblick in den beruflichen Werdegang unseres Autors, sie enthalten Prüfungsunterlagen und -ergebnisse sowie seine Beurteilungen durch die vorgesetzten Behörden, also auch personenbezogene Unterlagen, die er selbst nie zu Gesicht bekam. Lassen sich Auffälligkeiten in seiner Laufbahn erkennen? Oder ist Hohmann eher ein typischer Förster dieser Zeit? Wie versteht er sich mit der Bevölkerung in seinem Revier? Handelt er eher streng und unnachgiebig oder rücksichtsvoll bei der Verfolgung der Forstfrevel?

Valentin Hohmann stammt aus Unterfranken. Er kommt am 19. Januar 1814 als Sohn des katholischen Landgerichtsdieners Johann Joseph Hohmann auf die Welt. Als Valentin 18 Jahre alt ist, schließt sein Vater mit einem Revierförster einen Lehrvertrag. Bevor dieser von der Regierung des Untermainkreises (Unterfranken) genehmigt wird, überzeugt sie sich durch Zeugnisse von Valentins „Sittlichkeit“ und einer „robusten Körperlichkeit“.

Nach einer zweijährigen Lehrzeit bescheinigt ihm der Revierförster „rühmlichen Fleiß und gutes Benehmen“. Auch die folgenden Prüfungen als Forsteleve besteht er ohne Probleme, besonderes Augenmerk liegt hierbei auf dem Bruchrechnen (zur Holzvorratsberechnung) und auf einer korrekten Strafanzeige eines Forst- bzw. Jagddeliktes. Beim folgenden Studium an der Forstwirtschaftsschule in Aschaffenburg fällt Hohmann nicht weiter auf, die zwei Wochen dauernden Prüfungen absolviert er mit einem guten Resultat (II). Auf der über die weitere forstliche Karriere entscheidenden Rangliste belegt er den 11. Platz unter 19 Absolventen. Dieses durchschnittliche Ergebnis bedeutet, dass er seine Laufbahn im Forstdienst als Reviergehilfe fortsetzen muss. Die besseren Kandidaten können sich für höhere Posten durch eine Tätigkeit bei einem Oberförster, bei der Forsteinrichtungsbehörde oder in der jeweiligen Kreisregierung (Bezirksregierung) qualifizieren.

Hohmann ist in den folgenden Jahren in verschiedenen Forstrevieren als Gehilfe und schließlich am zentralen Forsteinrichungs-Bureau in München tätig, bevor er im März 1846 zum provisorischen Revierförster im Forstamt Lauterecken in der nördlichen Pfalz ernannt wird. Bis dahin verläuft seine Karriere vollkommen gewöhnlich, seine Einberufung zum Artillerieregiment wird auf Veranlassung der Forstverwaltung rückgängig gemacht. Nur seine Gesundheit macht ihm erstmals zu schaffen, er beantragt 1843 einen dreiwöchigen Genesungsurlaub.

Die wirtschaftliche Lage Hohmanns verbessert sich durch die neue Stelle erheblich, erhält er nun ein Gehalt von 350 Gulden sowie eine ansehnliche Dienstwohnung, Dienstgründe und natürlich Brennholz. Zum Vergleich: Ein Dorfschullehrer verdient zu dieser Zeit zwischen 100 und 150 Gulden im Jahr. Valentin Hohmann ist sehr umtriebig und schon im November des gleichen Jahres (1846) sucht er bei der Kreisregierung um eine „Verehelichungsbewilligung“ nach: „Der unterthänigst gehorsamst Unterfertigte ist gesonnen, sich mit Fräulein Clara Vicenti, Tochter des Kaufmanns Carl Vicenti zu Obermoschel, zu verehelichen und bittet demnach, demselben die dienstliche Bewilligung hiezu gnädigst ertheilen zu wollen.“ Ohne Genehmigung der vorgesetzten Behörde durften sich die bayerischen Beamten nicht verheiraten, eine wichtige Voraussetzung hierfür waren entsprechende Einkünfte.

Zunächst scheint es so, als gelänge Hohmann eine rasche Integration in die lokale Bevölkerung, dafür spricht vor allem die rasche Heirat mit der Kaufmannstochter. Doch keine zwei Jahre später zeigt sich, dass der neue Revierförster keineswegs allgemein beliebt war. Im März 1848 sind Valentin und Clara Hohmann zu einem Besuch aufgebrochen, als ein Einwohner aus dem Nachbardorf („welcher allgemein als ein schlechtes und rachsüchtiges Subjekt bezeichnet wird“) die Gelegenheit nutzt, um, „betäubt vom Branntwein, seinen lang verhaltenen Groll an den Fenstern des Forsthauses loszulassen und am hellen Tage gegen 5 Uhr des Abends alle Fensterscheiben, einen Theil der Rahmen und selbst einen Laden der Fronte, der Rückseite und der östlichen Giebelseite des Erdgeschosses zu zertrümmern. Auf den Hülferuf der Magd (!) erschien der zu Stahlberg wohnende Schlaghüter Leonhard, allein derselbe vermochte nicht, ungeachtet seiner drohenden Stellung mit einer vorgefundenen Flinte, der Verwüstung Einhalt zu thun und musste sogar, der thierischen Stärke seines Gegners wägend, hinter Schloß und Riegel seinen Schutz suchen.“

Dieser Vorfall ist kein Einzelfall. Immer wieder kommt es im 19. Jahrhundert zu Racheakten der Landbevölkerung gegen die Forstbeamten, diese werden beleidigt und bespuckt, ihr Eigentum wird angegriffen, sie werden verprügelt und mit dem Tode bedroht. Schusswechsel zwischen Wilderern, Forstfrevlern, Schmugglern einerseits und den Förstern andererseits sind zu dieser Zeit nicht nur ein Topos der Populärliteratur à la Ganghofer. Gerichtliche Untersuchungen belegen, dass Todesdrohungen gegen Förster einen realen Hintergrund haben, alle paar Jahre kommen Förster in Ausübung ihrer Dienstpflicht ums Leben. (Die Zahlen der angeschossenen und getöteten Wild- und Holzdiebe liegt jedoch um mehr als das Doppelte höher.)

Also stellt Hohmann ein Versetzungsgesuch, das er zunächst mit dem schlechten Gesundheitszustand seiner Frau begründet, dann aber auf den geschilderten Vorfall zu sprechen kommt:

„Ein weiterer Grund, der meine Versetzung sehr dringend macht, liegt hierin, weil in hiesiger Gegend eine große Aufregung gegen alle Forstbeamte herrscht. Ich habe hier fast ausschließlich nur mit armen, aber meist demoralisirten Leuten zu thun, die ohne Unterlaß die wirkliche Devastation [Verwüstung] der Gemeinde- und Staatswaldungen betreiben.

Solchem alle Schranken der Gesetze, der Billigkeit und Rücksicht überschreitenden Treiben musste ich entgegentreten, und that es, ohne jedoch hiebei eine unzeitige Strenge obwalten zu lassen. Demohngeachtet hat man mir heute die Fenster und Läden des unteren Stockes zertrümmert und gedroht, im nächsten Tage das Haus anzuzünden, und es dem Boden gleich zu machen. Große Gefahr ist sonach für mich und die Meinigen, für mein und des Staates Eigenthum vorhanden.“

Anders als in den meisten anderen deutschen Regionen herrscht in der Pfalz im März 1848 noch eine relativ ruhige Stimmung, von einer Revolution noch weit entfernt. So betont der Vorgesetzte Hohmanns ausdrücklich, dass der Vorfall noch „keine politische Bedeutung“ habe. „Die nächste Veranlassung zu dem Exzeß muß dem Revierförster Hohmann wegen seines leidenschaftlichen und barschen Auftretens gegen jeden, selbst seine Dienstuntergebenen, so wie nicht minder der durch amtliche Verhandlung schon bekannten Voranstellung seines persönlichen Interesses zugeschrieben werden. Die Ordnung im Walde ist bis jetzt noch nicht wesentlich gestört worden, und es zeigt sich unverkennbar ein Geist der Mäßigung bei der ganzen Bevölkerung, welche sicher die Oberhand behalten wird, wenn der allgemein tief verhasste Revierförster Hohmann durch einen zwar strengen aber gerechten und leutseeligen Nachfolger ersetzt wird.“

Der Forstamtsleiter läßt keinen Zweifel daran, dass sich Hohmann mit seiner Art der Amtsführung viele Feinde geschafft hat und bei der Bevölkerung sehr unbeliebt ist. Er befürwortet das Versetzungsgesuch Hohmanns, weil dieser „in seiner Rathlosigkeit nichts mehr zu leisten vermag“. Hohmann erhält drei Wochen Urlaub, um sich innerhalb der pfälzischen Forstbeamten einen Tauschpartner zu suchen. Während dieser drei Wochen muß er seinen Vertreter entlohnen.

Der eingeschüchterte Revierförster findet noch im April einen geeigneten Tauschpartner in Fischbach bei Hochspeyer und die Kreisregierung befürwortet den Stellentausch, weil Hohmann „Unfleiß, Unordnung oder Unbrauchbarkeit im Dienste nicht zur Last gelegt werden kann“. Gegenüber dem Finanzministerium vertritt sie die Ansicht, dass er die gegen ihn herrschende Aufregung zwar durch ein „strenges – nicht ganz besonnenes – Einschreiten und heftiges Auftreten gesteigert“ habe, diese „doch in der Hauptsache als eine Folge der gegenwärtigen Umstände“ (1848) zu sehen sei.

Kaum ist der Stellentausch vom Ministerium genehmigt, versucht Hohmann diesen in letzter Minute rückgängig zu machen. Sein Begründungsschreiben stützt sich auf drei Argumente: Erstens die schlechtere medizinische Versorgung seiner Gattin am künftigen Wohnort, zweitens die Amtsführung seines Vorgängers und Tauschpartners und drittens die bereits gegen ihn eingenommene Stimmung der Bevölkerung:

„2) Der kgl. Revierförster Weber zu Fischbach, hat, wie ich erst jetzt überzeugt wurde, eine eigene Art, mit den dortigen Leuten zu verkehren. Diese aber anzunehmen, könnte ich mich nicht entschließen, obschon ich, soferne es meine Dienstespflicht mir erlaubt, gewiß auch gerne Alles thue, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Es dürfte sonach unter diesen Verhältnissen und bei dieser aufgeregten Zeit von schlimmen Folgen für mich und vielleicht auch den Dienst sein, wenn jetzt ein anderer Revierförster in meiner Person dahin käme.

3) Die Bewohner des Reviers Fischbach sind jetzt schon, da man mir auf meinem dermaligen Posten so begegnete, im Vorurtheile befangen, und glauben ich tyrannisire die Leute; es haben deshalb auch dieselben die ernstesten Drohungen ausgestoßen und überall veröffentlichet.“

Hohmann sieht sich nicht im Stande, zur Bevölkerung einen ähnlichen Kontakt wie sein Vorgänger Weber aufzubauen. In seinen Augen hat dieser offenbar zu enge Verbindungen zu den Dorfbewohnern. Die Drohungen, von denen Hohmann berichtet, sind mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich ausgesprochen worden.

Kein Jahr nach dem Amtsantritt Hohmanns in Fischbach geht beim Landkommissariat Kaiserslautern (das entspricht den preußischen Landratsämtern) gegen ihn eine Anzeige ein. Er habe im Juni 1849, wenige Tage vor dem Einmarsch der preußischen Truppen, aufrührerische Reden in Fischbach gehalten, Eide geschworen und zum aktiven und bewaffneten Widerstand aufgerufen. Die weiteren Nachforschungen des Landkommissärs ergeben, dass der Mann, der die Anzeige geschickt hat, bis auf seinen eigenen Namen nicht schreiben kann. Offensichtlich kann er nicht Verfasser der Anzeige sein. Sein Schwiegervater jedoch, ein mehrfach vorbestrafter „Gewerbsfrevler“, führt seit mehr als 25 Jahren einen regelrechten Kleinkrieg gegen die in Fischbach arbeitenden Forstbeamten. Schon der Vorgänger Webers, ein Revierförster namens Candidus berichtet von jahrelangen Konfrontationen, den Verleumdungen vor Gericht, Beleidigungen, Bedrohungen, „um mich koste es was wolle, zu vertreiben, auch wenn ich dabei ums Leben käme, was ihnen vielleicht am allerliebsten wäre“. Folgerichtig stellt man die Untersuchung gegen Hohmann ein.

Die Versetzung hat die Lage unseres Revierförsters demnach keineswegs verbessert, sein Gehalt ist dadurch sogar gesunken. Nicht allein deshalb stellt Hohmann in den folgenden Jahren immer wieder Versetzungsgesuche. Erst 1856 gelingt es ihm, eine neue Stelle in Hambach (dem Ort des gleichnamigen Festes 1832) anzutreten. Die Anträge auf Versetzung begründet er mit gesundheitlichen Problemen, neben bereits in den 1830er Jahren beim Forstschutz zugezogenen chronischen Unterleibsleiden plagen ihn ein „nervöses Herzleiden“ und Asthma. Doch bereits am 23. März 1857 stirbt Valentin Hohmann kinderlos im Alter von 43 Jahren. Den am 2. April 1857 in München genehmigten Gesundheitsurlaub kann er nicht mehr antreten.

Valentin Hohmann: Ein herausragender Durchschnittsförster

Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts verändert sich die ökologische Struktur der Wälder erheblich. Die einst vor allem zur Schweinemast, Waldweide und Brennholzversorgung genutzten, relativ lichten und artenreichen Wälder werden zunehmend in systematisch geordnete und wirtschaftlich planbare Forsten verwandelt. Die heutigen, relativ dunklen und artenärmeren Hochwälder sind nichts anders als die Verkörperung eines forstwirtschaftlichen Ideals aus dem 19. Jahrhundert. Für die Durchsetzung der neuen, sogenannten „rationalen Forstwirtschaft“ spielen die Förster eine Schlüsselrolle. Wie eine Sonde eignet sich daher der biographische Ansatz, um die Lebenswelt und das Verhalten dieser Menschen, aber auch die Reaktionen ihrer sozialen Umwelt auf ihre Tätigkeit zu verstehen.

Gerade die Person des Revierförsters Valentin Hohmann ist in dieser Hinsicht besonders interessant. Seine Personalakte zeigt uns zunächst den typischen Karriereweg eines – nach Einschätzung der Lehrer und Prüfer – durchschnittlich begabten Forstmannes. Wie Hunderte bayerische Förster vor und nach ihm durchläuft Hohmann die typische Sozialisation eines Staatsförsters im 19. Jahrhundert. Die verschiedenen Hindernisse (Prüfungen, Bewertungen von Verhalten und Amtsführung) nimmt er mit mittelmäßigem Erfolg. Seine Vorgesetzten halten ihn für begabt und sein Verhalten (Conduite) gilt als tadellos. Seine wissenschaftliche Bildung, sein Fleiß und seine Amtspraxis werden durchweg gut bewertet. Im Spiegel der Prüfungsergebnisse und Beförderungslisten (Qualifikations- und Promotionslisten) erscheint er geradezu als ein Durchschnittsförster.

Keineswegs ungewöhnlich für die Förster im 19. Jahrhundert sind auch die geschilderten Vorfälle und die Konfrontation mit der einheimischen Bevölkerung. Andere Förster haben noch viel stärker unter dem sozialen Druck der Bevölkerung zu leiden. Insofern spiegeln sowohl die Demolierung des Forsthauses wie die falsche Anzeige gegen Hohmann nur einige für die Zeit sehr typische Konfliktmuster wider. Die zahlreichen Konflikte zeigen, dass der Wald ein soziales Spannungsfeld bildet, auf dem unterschiedliche und oft unvereinbare Interessen aufeinander treffen. Wenn die Förster einige Waldnutzungen, insbesondere die Waldweide und das Streurechen (für die Düngerproduktion im Stall), zum Schutz der heranwachsenden Jungpflanzen einschränken oder untersagen mussten, fehlten den Bauern und Winzern Futter und der dringend benötigte Dünger für die intensiv bearbeiteten Äcker und Weinberge. Während vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten wegen hoher Holzpreise und einem (zu stark) reduzierten Marktangebot leiden, häuft die bayerische Forstverwaltung durch ihre Hochwaldpolitik sehr große Holzvorräte in den pfälzischen Wäldern an. Kein Wunder also, dass viele Menschen die Forstverwaltung als ungerecht und untragbar empfinden. Weil aber die Förster und Waldaufseher diese Politik gegenüber der Landbevölkerung vertreten und durchsetzen müssen, gelten sie vielen Pfälzern als Mitverantwortliche für die eigene Not und werden selbst zum Opfer von Racheakten.

Doch Hohmann ist keineswegs nur ein Durchschnittsförster, wie uns die Personalakte vielleicht glauben ließe. Ihm ist bewusst, wie sich die von den Förstern zu vertretenden Maßnahmen in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht auf die Landbevölkerung auswirken. Wie die meisten seiner zum Thema Armut publizierenden Zeitgenossen könnte er sich nun auf weitverbreitete Vorstellungen wie die einer „Überbevölkerung“ oder eines Holzmangels (das forstliche Standardargument zur Legitimierung der neuen Forstwirtschaft) beziehen. Aber er gibt sich nicht mit bequemen Erklärungsmustern zufrieden, sondern setzt sich kritisch mit den strukturellen Bedingungen und Auswirkungen der staatlichen Forstwirtschaft auseinander. Als Mitglied der Staatsforstverwaltung kann er diese Kritik gerade in der nachrevolutionären Zeit jedoch nur in anonymer Form äußern. Wahrscheinlich wird sie von weiteren Förstern geteilt, schließlich sei die Schrift „nur auf das Zureden einiger befreundeter Forstmänner, die mit Leib und Seele auch ihre ganze Thätigkeit dem Walde widmen, und bezüglich diese Gegenstandes mit gerechter, gleicher Sorge in die Zukunft blicken“, veröffentlicht. Er hinterfragt damit ein System, das er selbst gegenüber der Bevölkerung unerbittlich vertritt bzw. vertreten muss. Handeln und Denken klaffen in der Person Hohmann weit auseinander.

  • Literaturhinweise:
  • [Hohmann, Valentin]: Das Proletariat und die Waldungen mit besonderer Berücksichtigung der bayerischen Rhein-Pfalz. Ein Beitrag zur Beantwortung der Frage über die materielle Noth der unteren Volksklassen einerseits, und die Sicherstellung des bedrohten Waldeigenthums anderseits, Kaiserslautern 1851.
  • Conze, Werner: Proletariat, Pöbel, Pauperismus. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache. Hg. v. Otto Brunner u. a., Stuttgart 1984, S. 27–68.
  • Götz, Thomas: Der Staat im Wald. Forstpersonal und Forstausbildung in Bayern im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts aus umweltgeschichtlicher Perspektive. Das Beispiel des Rheinkreises. In: Umweltgeschichtliche Beiträge I. Hg. v. Christoph Ernst u. a., Trier 1996, S. 36–77.
  • Grewe, Bernd-Stefan: Der versperrte Wald. Vorindustrieller Waldressourcenmangel in der bayerischen Rheinpfalz (1814–1870), Phil. Diss. Trier 2000 (masch).